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Verbissenheit im Sport

Was tun, wenn der Biss fehlt? Wenn man sich stattdessen verbissen über die Runden schleppt? Was hat Biss mit Verbissenheit zu tun? Und was nicht?

Zuviel Verbissenheit führt zu einer schlechten Haut.

Letzten April kam ein Freund von mir aus Finnland zurück, wo er mit 4000 anderen an einem grossen Langlauf-Event teilgenommen hat, dem Finlandia Hiihto. Drei Rennen über 50, 60 und 80 Kilometer, jeweils ein Tag Pause dazwischen. Ein richtig harter Riemen. Man merkt, der Mann hat Nehmerqualitäten. Er kann sich quälen, sagt man dem umgangssprachlich. Für so ein Rennen sollte man sich gut vorbereiten, viele Kilometer auf Schnee zurücklegen, als Flachländer kiloweise Rollski fahren. Das braucht eine Menge Biss.


Biss

Biss ist positiv konnotiert, Biss heisst, ich kann mich durchsetzen. Das nächste Wort, das gewissermassen am Weg liegt, ist verbissen. Verbissen, obwohl relativ nah am Biss, ist hingegen negativ besetzt. Verbissen ist grammatisch gesehen der Perfekt von Verbeissen, und sich in etwas verbeissen heisst, es nicht mehr loszulassen. Könnte also auch positiv konnotiert werden. Aber: verbissen zu trainieren heisst auch, keinen Spass an der Sache an sich zu haben.

Was uns wieder zurück führt nach Finnland. Mein Freund stellte nämlich fest, dass die gesamte Atmosphäre rund ums Rennen, aber auch am Rennen selbst, entspannt ausfällt. Kein Rennstress, keine Skier, die schon Stunden vorher in die Startspur gelegt werden, im Rennen selbst geht jeder sein Tempo, was meistens bedeutet, eher gemütlich. Das Rennen ist ein Erlebnis, das nicht durch Zeitgewinn an Wert gewinnt, sondern durch das Laufen in einer wunderbar verschneiten, weitabgelegenen, dadurch unverbauten, also echt natürlichen Landschaft. Keine Verbissenheit wie– und jetzt kommt’s – in der Schweiz bei den Swiss Loppet Läufen.


Verbissenheit

Hoppla Schorsch, denkt man nun als weltfremder Hobbyläufer, bezeichnet er uns Langläufer tatsächlich als verbissen? Wie das? An Läufen herrsche pausenlos eine angespannte Lage, so gar nicht freudvoll. Vielmehr gedrängt, pressant, zielorientiert.

Zielorientiert ist an sich gut, ist auch positiv besetzt. Für mich als gelernten Psychotherapeuten gilt die Zielorientierung mitunter als wichtiger Orientierungspunkt für das therapeutische Vorgehen. Aber zielorientiert heisst auch, den Weg ausser Acht zu lassen – weshalb ich die Zielorientierung manchmal auch einfach vergesse, mindestens vernachlässige.

Im Zusammenhang mit Sport und Rennen gilt das Ziel als einziger Orientierungspunkt. Alles führt an einen einzigen Punkt: ins Ziel. Ja, meint er, in Finnland sei das anders. Hier gelte die Landschaft als willkommener Aspekt eines schönen, abwechslungsreichen und demzufolge gelungenen Tages. Das Ziel ist zweitrangig, es begrenzt bloss die zurückzulegende Strecke.

In der Schweiz wolle jeder nur auf Teufel komm raus ins Ziel, so schnell wie möglich. Der Sieg über die anderen, der Sieg über sich selbst – das mache den Wettkämpfer aus. Was man die ganze Woche schon leiste, bleibe auch am Wochenende die Maxime: vorwärts vorwärts vorwärts.


Eine Schweizer Spezialität?

Sind wir verbissen? Ist das eine nationale Spezialität? Braucht es Verbissenheit, um im Sport zu reüssieren? Ist Verbissenheit per se schlecht? Oder ist es nichts anderes als Biss, den es halt einfach braucht, um diszipliniert zu trainieren? Wie müssten dann Rennen aussehen? Oder liegt es nicht gerade in der Natur eines Rennens, den Biss mit einem gehörigen Mass Verbissenheit unter Beweis zu stellen? Und wer ist im Ziel der bessere Sportler: der verbissene im vorderen Viertel klassierte oder der entspannte, der viel später ins Ziel kommt?

Ich habe in meinem Leben eine Reihe von Weltklassesportlern kennen gelernt und festgestellt: sie sind fast ausnahmslos nie verbissen, haben aber alle gehörig Biss. Im vorderen Mittelfeld aber, da geht's tatsächlich eher verbissen zu und her. Aber ob das in Finnland anders ist als hierzulande?

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