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Wir kommen nicht umhin, so etwas wie eine Erklärung dafür abzuliefern, was Mentales Training ist, was es bewirken soll und kann. Grundsätzlich geht es um eine wie auch immer geartete Leistungssteigerung via „Arbeit an der Psyche“. Mentales Training ist ein übergeordneter Begriff, der nicht nur im Sport angewendet wird, sondern nahezu überall. Wer auf Google Mentales Training eingibt, kommt auf 621'000'000 Einträge.


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Mentales Training - schwammiger Begriff. Aber gut für alle, die wie ein Schwamm aufnehmen.

Einer der ersten Einträge stammt dabei von Wikipedia: als Mentales Training oder Mentaltraining wird eine Vielfalt von psychologischen Methoden bezeichnet, welche das Ziel verfolgen, die soziale und die emotionale Kompetenz, die kognitiven Fähigkeiten, die Belastbarkeit, das Selbstbewusstsein, die mentale Stärke oder das Wohlbefinden zu fördern oder zu steigern.


Training auf körperlicher, emotionaler und geistiger Ebene

Mentaltrainings bedienen sich hierbei des Trainingsprinzips: Durch gezielte, mit Emotionen verbundene und wiederholte Reize auf mentaler Ebene (z. B. die Arbeit mit Wahrnehmungs- und Bewusstseinszuständen) wird das Erreichen von Trainings-Effekten sowie eine verbesserte Selbstwirksamkeit auf körperlicher, emotionaler und geistiger Ebene angestrebt.

Und was heisst mental? Hier wird’s ein wenig schwammiger, aber grundsätzlich betrifft mental alles geistige und das wiederum meint kognitive Prozesse, Prozesse also, die mit bewussten Denken zu tun haben. Das ist nicht ganz dasselbe wie psychisch. Psychisch beinhaltet sämtliche Prozesse, also auch unbewusste. Bei mentalem Training geht es also um die bewusste Veränderung eines kognitiven Verhaltens.


Ausbildung und Titelschutz

Um das Ganze ein wenig einzuengen, soll eine erste Differenzierung stattfinden: es geht in der Folge um die Anwendung im Sport.

Was die Ausbildung respektive den Schutz des Titels anbelangt, gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen SportpsychologInnen und MentaltrainerInnen. Sportpsychologen besitzen einen Fachtitel, der durch den Fachverband der Psychologen geschützt ist (in der Schweiz der FSP). Der Ausdruck Mentaltrainer hingegen ist nicht geschützt, es gibt zwar Akademien, Institution und Diplome, aber es mischeln eben auch Leute mit, die viel versprechen und mitunter mit mediokren Methoden hantieren. Mehr oder weniger bekannt wurde Rainer Harnecker als Mentalcoach von Patty Schnyder, der diese dazu anhielt, viel (sehr viel) Orangensaft zu trinken. In meinen Augen zählt auch Ma Junren dazu, der seine Sportlerinnen (scheint’s) mit Schildkrötenblut und besonders harten Trainingsformen zu Weltrekorden trieb (was sich später als knallhartes Doping herausstellte).


Was nützt, hilft. Auch wenn's nichts nützt.

Grundsätzlich spricht nichts gegen (auch mediokre) Methoden, wenn sie denn helfen. Wie gesagt: entscheidend ist der Glauben daran. Es gab in der Schweiz einst einen oder mehrere Triathleten, die eine Olivenölkur durchführten. Ich weiss bis heute nicht, ob es was bringt oder nicht, aber die entsprechenden Sportler glaubten sehr stark daran. Das ist, wenn man’s genau nimmt, grossartige Kopfarbeit. Frei nach dem Motto: wer’s glaubt, wird selig.

Der SASP (Swiss Association of Sport Psychology) sorgt mit einem klaren Ausbildungs- respektive Voraussetzungsprofil dafür, dass Sportpsychologie einen ernstzunehmenden wissenschaftlichen Hintergrund hat. Und die entsprechenden Protagonisten haben in der Regel auch hervorragende Referenzen.

In der Literatur wird zum einen von Psychotraining gesprochen (Seiler, R., Stock, A., 1994, Handbuch Psychotraining im Sport, Reinbek: Rowohlt). Sigurd Baumann (1993) hingegen unterscheidet psychologisches und mentales Training. James E. Loehr (1994) spricht (in der deutschen Ausgabe) von mentaler Stärke und macht in seinem Buch Die neue mentale Stärke (1994) einen Unterschied zwischen physischem und mentalem Training, führt aber die beiden Trainingselemente so elegant zusammen, dass klar wird: es braucht beides. Alfermann und Stoll (2005) beschäftigen sich für eine Definition nur mit dem Begriff Sportpsychologie: „Sportpsychologie befasst sich mit Verhalten und Erleben im Rahmen sportlicher Aktivität. Sie ist darauf gerichtet, dieses Verhalten und Erleben zu beschreiben, zu erklären, vorherzusagen und zu beeinflussen und damit das gewonnene Wissen praktisch anzuwenden“ (Alfermann & Stoll, 2005, S. 13).

Mit anderen Worten: ohne mentales Training wird das nicht. Aber: über das Wie lässt sich trefflich streiten.


Nützliche Literatur

Alfermann, D., Stoll, O. (2005). Sportpsychologie. Ein Lehrbuch in 12 Lektionen. Aachen: Meyer & Meyer.

Baumann, S. (1993). Psychologie im Sport. Aachen: Meyer & Meyer.

Loehr, J. E. (1994). Die neue mentale Stärke. München: BLV.

Seiler, R., Stock, A. (1994). Handbuch Psychotraining im Sport. Reinbek: Rowohlt.

Hänsel, F., Baumgärtner, S. D., Kornmann, J. M., Ennigkeit, F. (2016). Sportpsychologie. Berlin Heidelberg: Springer.

Cohen, R. (2016). Sport Psychology. The Basics. Optimizing Human Performance. London New York: Bloomsbury.

Mentaltraining, das ist ja so ein Überwort geworden, um nicht zu sagen: ein Zauberwort. Man macht mentales Training und gewinnt dann. Den Wettkampf oder den Kampf gegen sich. Auf der anderen Seite glauben noch viel mehr nach wie vor, das sei so ein Psycho-Quark oder gar etwas Esoterisches, Hafechabis eben. Beide Seiten berufen sich darauf, das man irgendwas mit dem Kopf macht: man arbeitet an sich und seinem Glauben daran, etwas besser zu können, als man glaubt, es zu können.

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Was sich alles aus dem Hirn holen lässt

Konkreter. Ich bereite Wettkampf xy vor, trainiere fleissig und daneben mache ich noch mentales Training und bin damit besser, als wenn ich nur den Körper trainiert hätte.

Bis hierher klingt es vielleicht, als ob ich mich darüber lustig machen wollte. Das ist nicht der Fall. Ich gehöre zu denen, die nicht nur daran glauben, sondern wissen, dass es funktioniert. Ich war das, was man einen Trainings-Weltmeister nennen könnte. Und ich war definitiv ein Wettkampf-Loser.

Wenn wir den zweiten Abschnitt nochmals ansehen: man arbeitet am Glauben, etwas besser zu können, als man glaubt, es zu können. Es hat tatsächlich etwas mit Glauben zu tun. Wissen tun wir’s nie. Bestenfalls glaube ich daran, es zu wissen.


Einer gewinnt, einer verliert. Oder etwa nicht.

Das ist wie mit der Religion: tatsächlich wissen wir nicht, ob es Gott (einen oder mehrere) gibt, aber solange wir wirklich daran glauben, gibt es einen.

Wirklich an eine Sache zu glauben ist allerdings nicht ganz so einfach.

Man stelle sich den Wimbledon-Final vor: zwei der besten Tennisspieler der Welt stehen sich gegenüber. Beide glauben grundsätzlich daran, zu gewinnen – sie stehen nicht einfach so im Finale des wichtigsten Tennisturniers der Welt. Beide haben auch die technischen Fähigkeiten dazu. Aber nur einer gewinnt. Und das muss, wir haben es im Final 2019 gesehen, nicht einmal der sein, der sich in der besseren technischen Tagesverfassung findet. Djokovic war nicht besser als Federer, sonst hätte der Match nicht so lange gedauert. Aber er hat gewonnen.

Es liesse sich nun leicht sagen: weil er mehr dran geglaubt hat. Das hat sicher was. Aber was? Denn eines steht fest: Roger Federer hat mit Sicherheit daran geglaubt, seinen neunten Wimbledon-Pokal einzupacken. Ohne den Glauben daran musst du die Tennistasche nicht auspacken.

Deshalb nochmals die Frage: was macht einen Sieg aus?

In einem Tennismatch sind das sehr viele Komponenten. Wohl in keiner anderen Sportart wird man über so lange Zeit dauernd mit seinen Fehlern konfrontiert wie im Tennis. Immer wieder verlierst du einen Punkt. Oder drei oder vier oder sieben hintereinander. Immer wieder musst du dich neu sortieren. Denn du hast immer auch die Chance, das wieder auszugleichen – es sei denn, du bist an diesem Tag tatsächlich deutlich schlechter. Aber im besagten Final waren beide mehr oder weniger gleich stark.

Es gab hierzu ein grossartiges Interview mit dem bekannten Schweizer Sportpsychologen Jörg Wetzel in der NZZ am Sonntag vom 21.07.2019. In meinen Augen sagt Wetzel in diesem Gespräch mehr über die Wirkweise von mentalem Training aus als so manches Buch.

Zumindest die Frage danach, was den Sieg ausmacht, wird – für den Wimbledonfinal 2019 – hinreichend beantwortet.


Und im Ausdauersport?

Wie sieht das im Ausdauersport aus? Oder im Breitensport aus, wo es selten um den Sieg geht? Was kann mentales Training bewirken, wenn es um eine lange Rollskitour geht? Aber auch: was kann mentales Training nicht?

In der folgenden Artikelserie geht es darum, den Begriff Mentales Training ein wenig auszuleuchten. Vielleicht kann nicht alles geklärt werden, zumindest ist es aber das Ziel, vieles aufzugreifen, was man so hört. Wenn es auch kein streng wissenschaftlicher Artikel ist, so werden doch auch wissenschaftliche Erkenntnisse eingebracht. Aber auch ureigenste Erkenntnisse (und Bekenntnisse) sollen nicht fehlen.

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