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Von Spitzensportlern lernt man besser nichts

Was böse klingt, ist nicht ganz so böse gemeint. Eine Polemik und ein Plädoyer für mehr Entspannung bei Training und Wettkampf.

Wir Menschen neigen dazu, uns an anderen Menschen zu orientieren, die etwas besser oder gar ganz besonders gut können. Das ist nicht grundsätzlich schlecht, das ist sogar gut, solange ich mich nicht daran zugrunde richte. Ziemlich viele Sportler und Sportlerinnen orientieren sich allerdings an Menschen und deren besonderen Fähigkeiten, die gemessen am Durchschnitt weit über diesem liegen. Eben an der Spitze. Wie trainieren die, was machen die. Da werden nicht selten direkte Anfragen gestellt, wie eine Trainingseinheit zu bewältigen ist. Die Ansprüche steigen ins Unermessliche. Leider sind es meistens die eigenen Ansprüche, die für schlechte Laune sorgen.


Grundsätzlich können und sollen Breitensportler – also alle, die gerne Sport treiben, ohne davon zu leben – von den Erkenntnissen des Spitzensport und der Sportwissenschaft profitieren können. Breitensportler, sei's gesagt, sind eine breite, fast amorphe Masse von Menschen, die sich sportlich betätigen. Denen darüber hinaus das Augenmerk der meisten präventiv orientierten Krankenkassen gilt und die deshalb die sportliche Betätigung in Form von Prämiengeschenken unterstützen.


Wer nicht aufpasst, ist schneller kaputt, als er oder sie schauen kann

Aber können wir überhaupt von der Spitze spicken? Vielleicht, was ihre Selbstdisziplin anbelangt, ihren Trainingseifer, ihre Härte. Und sonst? Nichts!

Spitzen- oder Leistungssportler zu kopieren ist gelinde gesagt eine Scheissidee.


Ich stelle die Frage nicht einfach so – die meisten denken bei dieser Frage nicht an den netten Menschen, sondern an beschleunigende Tipps und Tricks, also an die Trainingsprogramme von Spitzensportlern. Begriffe wie VOmax, Puls, Sauerstoffschuld, Intervallhäufigkeit, Trainingsaufwand, Wattwerte undsoweiter.


Die Ausgangsfrage lautet: was machen Profis, damit sie so gut sind, wie sie sind. Und dank Facebook oder Instagram lässt sich der Sportler oder die Sportlerin sogar direkt anfragen: „was machst du, damit du so schnell bist?“ - ich wiederhole mich, ich weiss. Und nett, wie manche von der Spitze sind, geben sie Auskunft. Ich schwimme Zeitintervalle 60x50m in ± 30 sec mit Start alle 35 sec. Heisst: wer für die 50m länger als 30 sec braucht, hat kürzer Pause. Nun hopst der übermotivierte Schwimmer oder die überambitionierte Schwimmerin ins Wasser und ist nach spätestens dem dritten Intervall am Limit. Oder im Langlauf das mittlerweile sehr beliebte und auch durchaus effiziente Doppelstocktraining. Ein norwegischer Spitzenläufer, gefragt nach seiner Lieblingseinheit: 5 hours double-poling. Da gehen dann wieder Unzählige raus und fangen an, sich stundenlang die Hänge hochzustemmen. Dafür braucht's Muckis im Bauch (neudeutsch: abs), aber die meisten verwenden Arme und Schultern. Und wundern sich dann, weshalb nach einem Monat beides nicht mehr mitmacht.


Unrealistische Beispiele? Man will nicht glauben, wie häufig das vorkommt. Ein entspanntes Verhältnis zu intelligentem Training haben nur wenige. Im Fussball verletzen sich jährlich in der Schweiz 82'000 Personen ernsthaft. Im Ausdauersport gibt's ein anderes Zauberwort: Übertraining. Das ist, so kommt's mir vor, im Ausdauersport eine grosse Plage. Ich behaupte mal, die Anzahl von übertrainierten Breitensportlern ist wesentlich höher als im Spitzenbereich.


Man könnte sagen: das wahre Leiden beginnt erst mit dem Sport. Häufig Männer, seltener Frauen, die nach Jahren des Rock'n'Roll, der Party und Afterparty, des Halligalli von Moiks Gnaden urplötzlich den Schrei der Vernunft in sich zu hören glauben und unvermittelt mit Sport beginnen. Das wäre ja noch auszuhalten. Aber dann legen sie gleich unvernünftig extrem oder extrem unvernünftig los. Es gibt bekanntlich gewisse Regeln, wie, wieviel und wie lange. Für Erwachsene im fortgeschrittenen Alter gilt bloss noch: ich bin alt genug, um Regeln brechen zu dürfen. Vergessen die Jugend, als sie das letzte Mal gebrochen wurden und saftige (ok, manchmal auch sehr lustige) Konsequenzen nach sich zogen. „Jetzt will ich endlich nachholen, was ich verpasst habe, schliesslich lebe ich nur einmal.“ Das beginnt mit 40, quasi Lebens-, Existenz-, Sinnkrise. Alles auf eine Karte setzen und durchstarten. Altersklassen-WM muss es schon sein. Ich weiss nicht, ob das ein übermässiges Selbstvertrauen ist oder einfach nur doof. Schuster, bleib bei deinen Leisten, möchte man rufen, und: lass dir Zeit. Langsam anfangen und langsam steigern, dann wird man schnell. Luft nach oben hat's ohnehin – übrigens auch an der Spitze. Nur wird dort anders gemessen.


Ein Freund (und sehr guter Radfahrer) sagte mal, deine Resultate interessieren niemanden wirklich. Bleibt die Frage, wieso soll ich dann ...? Und wieso muss ich mir dauernd was …?


Vielleicht so. Mehr Gefühl, mehr auf sich hören, mehr im Stil von: mehr geht nicht. Das zum Beispiel machen Spitzensportler so richtig oft: Pause. Der sportliche Begriff dafür: Regeneration. Das ist eine der wichtigsten Trainingseinheiten. Das könnte man nun durchaus von ihnen lernen.


Genau hier hört’s dann aber schlagartig auf mit abschauen.


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