Ich gebe zu, ich habe die vertiefte Diskussion um Sinn und Unsinn des Verbots von Fluorwachsen erst ungefähr Mitte des Jahres 2020 richtig mitbekommen. Vorher war's einfach so: ab dem Winter 2020/21 sollen Fluorwachse (im Rahmen von FIS-Rennen) verboten sein. Fluorwachse haben für alle Sportler, die auf Schnee unterwegs sind, einen die Schnelligkeit fördernden Effekt. Insbesondere Skilangläufer profitieren davon, weil sie im Gegensatz zu den anderen Schneesportlern lange im Schnee unterwegs sind. Deshalb bildet das Verbot der Fluorwachse für sie einen massiven Einschnitt.
Der vorliegende Text will grob die Problematik erläutern und dann meine eigene Meinung (Achtung: eigene Meinung!, mehr nicht) abbilden.
Viele der folgenden Abschnitte stammen inhaltlich aus mehreren im Internet frei zugänglichen Artikeln. Insbesondere der Artikel Fluor-Verbot der FIS und der IBU: Eine Einschätzung von Frank Zipp, gefunden auf xc-ski.de, hat es mir angetan. Zipp ist Gründer und Geschäftsführer von Zipps Skiwachsen. Ich habe den Artikel zur Hilfe genommen, weil er einem unkundigen Wachskonsument wie mir helfen kann, die Sache ein wenig besser zu verstehen. In der Folge wird zu sehen sein, dass Zipp einem generellen Fluorverbot zumindest kritisch gegenüber steht und dies sehr gut begründet. Für ein genaues Verständnis empfehle ich daher die Lektüre des Artikels.
Zipp ist bei weitem nicht der einzige, der die Sache kritisch betrachtet. Wenn man ihm als Besitzer einer Wachsfirma Eigennutz unterstellen will, so finden sich andere Verfasser, die nicht aus der Sicht des Wachsunternehmens diskutieren.
Fluorwachse haben den Effekt, dass Wasser quasi abperlt. Das ist vor allem das Verdienst von PFC (Perfluoralkan), welches sich zum Beispiel auch in Teflon findet, und das einen sehr geringen Reibungskoeffizient aufweist.
Dummerweise haben die Wachse auch sogenannte PFOA (Perfluoroktansäure) und PFOS (Perfluoroktansulfonsäure) in sich. Diese weisen scheint's eine gewisse Gefährlichkeit auf. PFOS sind ohnehin seit 2008 mit Grenzwerten belegt und spielen keine Rolle bei Skiwachsen. PFOA schon. PFOA ist "einerseits ein Emulgator zur Herstellung von fluorierten Stoffen und andererseits ein Abbauprodukt verschiedener teilfluorierter Verbindungen. Es gab schon seit Jahren einen Grenzwert für PFOA, der nun zum 4. Juli nochmals abgesenkt wurde: auf 25ppb. Damit ist auch die sogenannte C-8-Chemie nicht verboten, aber man muss diesen Grenzwert einhalten. Mit der neuen Regelung sind viele Skiwachshersteller von der C-8-Chemie auf C-6-Chemie umgestiegen, bei der keine PFOA entstehen kann" (Zipp, 2020, auf: xc-ski.de). Mit den neuen Grenzwerten werden laut Studienlage Lebewesen besser geschützt, zudem sei PFOA für das Gleiten auf Schnee wertlos und werde daher gar nicht gebraucht.
Der Clou der Sache ist, die EU als Recht sprechende Institution hat Grenzwerte verabschiedet, die FIS/IBU aber haben ein totales Fluor-Verbot gesprochen. Weil damit geltendes EU-Recht gebrochen würde, gilt das Verbot nur für FIS-Punkte-relevante Wettkämpfe. Will heissen: Freizeitsportler dürfen weiterhin Fluorwachse benutzen.
Womit die Diskussion in abschüssiges Gelände gerät.
Was macht ein Verbot für einen Sinn, wenn der grösste Teil der Wintersportler die Produkte weiterhin benutzen darf? Ist das vorauseilender Gehorsam? Oder, was von vielen Beobachtern vorsichtig angetönt wird, ein Fall von "Vetterliwirtschaft"? Es zeigte sich nämlich, dass einer der Befürworter seines Zeichens auch Besitzer einer Wachsfirma ist, die auf wundersame Weise vier Tage nach dem offiziellen Verbot ein Wachssortiment rausbrachte, das vollständig auf Fluor verzichtet (und das Patent dafür offenbar bereit im April 2019 dafür anmeldete). Eine Geschichte, die zumindest im Sinne einer so weit wie möglich objektiven Wahrheit aufgelöst werden sollte.
Ich stelle mir eine andere Frage – und damit komme ich auf meine oben bereits angetönte Meinung zurück. Wie gesagt ist einer der Hauptvorteile die Gleitfähigkeit der Ski, die mit Fluorwachsen behandelt werden. Ohne Fluor, so die gängige Meinung, werden die Protagonisten massiv langsamer. Und zwar ausnahmslos.
Bei anderen Sportarten nicht anders.
Wir hatten bei den Schwimmern einst eine ähnliche Diskussion. Damals ging es um Ganzkörper-Anzüge. Diese machten in wenigen Jahren eine unglaubliche Entwicklung, wurden immer elaborierter, man nannte sie nicht einfach so auch Shark Skins. Und sie wurden verboten. Ein Aufschrei in der Szene, zumindest von den einen. Die anderen haben nicht mitgeschrien, denn längst nicht alle konnten sich diese ultrateuren Anzüge leisten – und waren damit massiv im Nachteil. Auch gewannen damals plötzlich Bodybuilder und Bodybuilderinnen auf den kurzen Distanzen, und die schlanken Schwimmer hatten das Nachsehen. Item: sie wurden verboten, die Zeiten wurden über Jahre deutlich langsamer (und Bodybuilder hatten keine Chance mehr).
Beim Speerwerfen wurden derart riesige Distanzen geworfen, dass man den Speer modifizierte, und er darob dreissig Meter weniger weit flog. Die Skispringer müssen je nach Eigengewicht weiter unten starten – logisch eigentlich: je leichter, desto weiter fliegen sie, was bis zur Regeländerung einen drastischen Anstieg von untergewichtigen Männern zur Folge hatte.
Der langen Rede kurzer Sinn: was ist so schlimm, wenn alle langsamer werden? Solange es alle sind? Heute gewinnen ohnehin nur die, die nachts schlafen können und nicht selber wachsen müssen. Vielleicht würde es ja tatsächlich etwas fairer, wie die FIS glaubt.
Frank Zipp glaubt das nicht. Hier seine Erklärung (aus dem oben angeführten Artikel): "Würde er es doch nur! Wenn das Fluorwachsverbot tatsächlich greifen sollte, dürfte es jedoch so aussehen, dass die Vernichtung von großen Mengen an vorrätigen Wachsen erforderlich ist. Man geht dabei von einem Wert von einigen Millionen aus. Je dünner die finanzielle Decke eines Verbandes ist, desto mehr wird er durch das Verbot gebeutelt werden. Auch die in den letzten Jahren gesammelten und dokumentierten Erfahrungen mit Wachsen und ihren Einsatzmöglichkeiten werden durch ein Verbot von Fluorwachsen wertlos, neue müssen erst allmählich entstehen. Den Gerechtigkeitsaspekt vermag ich überhaupt nicht zu erkennen. Der läge darin, Doping noch besser und effektiver zu kontrollieren und damit zu bannen, eigentlich die ureigene Aufgabe der Verbände. Fairer macht das Verbot den Sport sicher auch nicht, denn wohlhabende Nationen mit vielen erfolgreichen Athleten haben von vornherein ein viel größeres Budget, um die Athleten zu fördern, auszubilden, zu trainieren und nicht zuletzt um Ersatz für Fluorwachse entwickeln zu lassen, die dessen unbestrittenen Eigenschaften nahe kommen. Da haben kleine Verbände im Vergleich keine Chance."